.recherchiert Uncategorized Rosa von Zehnle úr – „IM Wald“ (romanhafte STASI-Dokumentation) … Hier ein erster Probetext, Teil des 1. Kapitels …

Rosa von Zehnle úr – „IM Wald“ (romanhafte STASI-Dokumentation) … Hier ein erster Probetext, Teil des 1. Kapitels …

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Noch Bau­stel­le

Bit­te habe noch etwas Geduld,
wir arbei­ten dar­an.

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Neu­es Deut­sches STA­SI-Akten-Ver­öf­fent­li­chungs-Pro­jekt

Ab Ende 2025 star­te ich ein neu­es Deut­sches Publi­ka­ti­ons­pro­jekt zum 40jährigen Jubi­lä­um des Rosa Archivs Leip­zig. Ich wer­de aus Tau­sen­den Sta­si-Akten eine Buch­serie (eBuch, PDF, gedruck­te Bücher und ev. Hör­buch) gestal­ten – span­nend geschrie­ben, fast kri­mi­haft erzählt und mit Ori­gi­nal­dia­lo­gen und ‑zita­ten aus den STA­SI-Akten, die kur­siv gesetzt und mit den BSTU-Num­mern (Sei­ten­an­ga­ben) ver­se­hen sind.

So wird eine Mischung aus roman­haf­ter Erzäh­lung und Doku­men­ta­ti­on (auch mit Abbil­dun­gen als Schluß­ka­pi­tel) ent­ste­hen, die wohl bis­her ein­zig­ar­tig ist, zumin­dest im Bereich der STA­SI-Akten-Auf­ar­bei­tung.

Auf die­ser Sei­te ist eine ers­te Idee an Hand der öffent­li­chen STA­SI-Akte von Wald­traut Lewin vor­ge­stellt, inklu­si­ve eines ers­ten Lese­bei­spiels.

 

Kei­ne Sorge(n),
ich denun­zie­re nie­man­den und nichts, ganz im Gegen­teil:
Wald­traut sag­te zu mir ein­mal sinn­ge­mäß:
„Rosa, wenn ich nicht mehr bin, sor­ge dafür, daß ich wei­ter­le­be, wei­ter­le­be in und mit mei­nen Büchern und ich traue Dir zu, das Du auch mei­ne Sta­si­ak­te sorg­sam behan­delst, ehr­lich damit umgehst und in mei­nem Sin­ne öffent­lich machst. Denn tun das ande­re, so schwin­det mein Ver­trau­en arg, das sie es in mei­nem Sin­ne tun wer­den. Du Rosa, das weiß ich, wirst es so tun, daß ich zufrie­den sein wer­de. Dafür schon zu Leb­zei­ten mei­nen ehr­li­chen Dank.“

Es wer­den spä­ter wei­te­re Fol­gen in die­sem Gestal­tungs­stil erschei­nen, so z.B. von Char­lot­te von Mahls­dorf, von Max Fech­ner* und eini­gen ande­ren Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens oder The­men­be­rei­che die es wert sind, so auf­ge­ar­bei­tet zu wer­den.

* Max Fech­ner war von 1949 bis 1953 Jus­tiz­mi­nis­ter der DDR, er wur­de wegen sei­ner Kri­tik am Auf­stand 1953 und wegen homo­se­xu­el­ler Ver­ge­hen ver­haf­tet und war vom Juli 1953 bis April 1956 inhaf­tiert.
Poli­tisch muß­te er weg, weil er die Par­tei­li­nie nach dem Auf­stand nicht mit­trug.
Juris­tisch und pro­pa­gan­dis­tisch nutz­te man die Homo­se­xua­li­täts­vor­wür­fe, um ihn straf­recht­lich zu belan­gen und gesell­schaft­lich zu ent­eh­ren.
Er wur­de 1956 begna­digt und spä­ter teil­wei­se reha­bi­li­tiert.
Eine wirk­lich sehr span­nen­de Geschich­te, die ich in den STA­SI-Akten fand!

 

Arbeits­ti­tel:
Rosa von Zehn­le úr
„IM Wald“
(roman­haf­te STA­SI-Doku­men­ta­ti­on)

Hier ein ers­ter Pro­be­text des 1. Kapi­tels
„Die Rekru­tie­rung – Wie »Wald« zur Infor­man­tin wird (1975)“

EINLEITUNG:
Akte geschlos­sen – Geschich­te offen

Ros­tock, Früh­jahr 1978.
In einem unschein­ba­ren Büro der Abtei­lung XV des Minis­te­ri­ums für Staats­si­cher­heit wird eine Kar­tei­kar­te ange­legt.
Reg.-Nr. 189 I/78.
Deck­na­me: »Wald«.
IM-Art: GMS – Gesell­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter für Sicher­heit.
Ein­satz­ge­biet: Volks­thea­ter Ros­tock.

Was harm­los klingt wie ein büro­kra­ti­scher Ver­wal­tungs­akt, ist der Beginn einer Geschich­te, die tief hin­ein­führt in das Geflecht aus Miß­trau­en, Kon­trol­le und Ver­rat, daß die Deut­sche Demo­kra­ti­sche Repu­blik durch­zog wie ein unsicht­ba­res Ner­ven­sys­tem. Es ist die Geschich­te einer Frau, die am Thea­ter arbei­te­te, die chi­le­ni­sche Künst­ler betreu­te, die Kon­tak­te in den Wes­ten pfleg­te – und die dar­über Bericht erstat­te­te an jene, die im Dun­keln saßen und zuhör­ten.

»Wald« – der Deck­na­me selbst birgt eine Iro­nie. Ein Wald ver­birgt, was in ihm geschieht. Er schützt und ver­schlei­ert zugleich. Doch in den Akten des Staats­si­cher­heits­diens­tes wur­de alles fest­ge­hal­ten: jedes Tref­fen, jede Ein­schät­zung, jeder Zwei­fel. Die Dra­ma­tur­gin, die frei­schaf­fen­de Autorin, die sich 1975 zur Zusam­men­ar­beit bereit erklär­te, wuß­te nicht, daß ihre Berich­te eines Tages im Archiv der Außen­stel­le Ros­tock lagern wür­den. Zeug­nis einer Zeit, in der Freund­schaft zur Fal­le wer­den konn­te und Ver­trau­en zur Wah­rung der Macht.

Die­se Doku­men­ta­ti­on erzählt ihre Geschich­te. Sie folgt den Treff­be­rich­ten, den Akten­ver­mer­ken, den hand­schrift­li­chen Noti­zen der Füh­rungs­of­fi­zie­re. Sie rekon­stru­iert die Begeg­nun­gen in der HO-Gast­stät­te »Kaf­feestüb­chen«, die Gesprä­che über chi­le­ni­sche Exi­lan­ten und west­deut­sche Ver­le­ger, die ideo­lo­gi­schen Kämp­fe nach Wolf Bier­manns Aus­bür­ge­rung. Und sie zeigt, wie das Sys­tem funk­tio­nier­te: nicht nur durch Zwang, son­dern auch durch Über­zeu­gung, durch Ein­bin­dung, durch die Illu­si­on, dem Guten zu die­nen.

Die Namen sind authen­tisch – soweit sie aus den Akten her­vor­ge­hen. Die Dia­lo­ge sind den Ori­gi­nal­be­rich­ten ent­nom­men. Was hier erzählt wird, ist kei­ne Fik­ti­on. Es ist die Wahr­heit der Akten – jene beson­de­re Form der Wahr­heit, die ent­steht, wenn Men­schen über Men­schen berich­ten und dabei selbst zu Figu­ren in einem Spiel wer­den, des­sen Regeln sie nicht durch­schau­en.

Dies ist die Geschich­te von »Wald«. Eine Geschich­te aus dem Ope­ra­ti­ons­ge­biet der DDR-Mit­läu­fer-Nor­ma­li­tät.

 

KAPITEL 1: Die Rekru­tie­rung

März 1975 – Ein Gespräch, das alles ver­än­dert.

Der Früh­ling kam spät nach Ros­tock in jenem Jahr. An der Ost­see­küs­te lag noch die Käl­te des Win­ters in der Luft, wenn der Wind von der Ost­see her über die Stadt strich. Im Volks­thea­ter Ros­tock herrsch­te Hoch­be­trieb. Die neue Insze­nie­rung nahm Gestalt an, die chi­le­ni­schen Gast­mu­si­ker prob­ten für ihren nächs­ten Auf­tritt, und in den Gän­gen hin­ter der Büh­ne kreuz­ten sich die Wege von Schau­spie­lern, Tech­ni­kern und Dra­ma­tur­gen.

Sie arbei­te­te hier seit Jah­ren. Eine Frau Ende drei­ßig, gebil­det, mit einem Gespür für Lite­ra­tur und Thea­ter. Gebo­ren 1937 in Wer­ni­ge­ro­de, aus­ge­bil­det an der Hoch­schu­le, geschie­den, zu die­ser Zeit noch ohne Kin­der. Ihre Woh­nung lag in der Süd­stadt, ihre Tage ver­brach­te sie zwi­schen Pro­ben, Manu­skrip­ten und den end­lo­sen Bespre­chun­gen, die zum Thea­ter­le­ben gehör­ten wie die Mas­ke zum Schau­spie­ler. Sie war Dra­ma­tur­gin, eine von jenen, die im Hin­ter­grund wirk­ten, die Tex­te prüf­ten, Kon­zep­te ent­wi­ckel­ten, zwi­schen Kunst und Poli­tik ver­mit­tel­te.

An einem März­tag des Jah­res 1975 soll­te sich ihr Leben ver­än­dern. Nicht durch einen Pau­ken­schlag, nicht durch eine dra­ma­ti­sche Ent­schei­dung – son­dern durch ein Gespräch. Ein Anruf. Eine Ein­la­dung zum Kaf­fee.

Die Män­ner, die sie tra­fen, stell­ten sich nicht mit vol­lem Namen vor. Sie spra­chen höf­lich, aber bestimmt. Sie kämen von der Abtei­lung XV des Staats­si­cher­heits­diens­tes, hieß es. Man habe ein Anlie­gen. Man brau­che ihre Hil­fe. Es gehe um die Sicher­heit des Thea­ters, um aus­län­di­sche Gäs­te, um Per­so­nen, deren poli­ti­sche Zuver­läs­sig­keit geprüft wer­den müs­se.

Was genau in jenem ers­ten Gespräch gesagt wur­de, ver­zeich­ne­ten die Akten nicht. Aber das Ergeb­nis war ein­deu­tig.

Am 5. März 1975 wur­de die Kon­takt­per­son zum ers­ten Mal ange­spro­chen. Der Auf­trag lau­te­te:
„Die KP wur­de beauf­tragt, inof­fi­zi­el­le Berich­te über fol­gen­de Per­so­nen zu schrei­ben: Ein­schät­zun­gen über fol­gen­de Per­so­nen zu schrei­ben.“ – BStU 000018

Drei Tage spä­ter, am 18. März 1975, fand das ers­te offi­zi­el­le Tref­fen statt. Der Ort: eine HO-Gast­stät­te namens »Kaf­feestüb­chen«, dis­kret gele­gen, unauf­fäl­lig genug für regel­mä­ßi­ge Zusam­men­künf­te.

Am 03. April 1975 wur­de mit »Wald« in der HO Gast­stät­te »Kaf­feestüb­chen« der ver­ein­bar­te Treff durch­ge­führt.

Sie hat­te zuge­sagt. Aus wel­chen Grün­den? Die Akte schweigt dar­über. Viel­leicht war es Über­zeu­gung – der Glau­be, dem Staat zu die­nen, der DDR, die sie als ihre Hei­mat betrach­te­te. Viel­leicht war es Druck – die sub­ti­le, aber unmiß­ver­ständ­li­che Andeu­tung, daß eine Ableh­nung Fol­gen haben könn­te. Viel­leicht war es auch nur der Wunsch, dazu­zu­ge­hö­ren, wich­tig zu sein, gebraucht zu wer­den.

Was auch immer ihre Beweg­grün­de waren: Sie wil­lig­te ein. Sie wür­de berich­ten. Über Kol­le­gen. Über Künst­ler. Über Men­schen, mit denen sie täg­lich arbei­te­te.

Ihr Deck­na­me wur­de fest­ge­legt: »Wald«.

 

Das Sys­tem nimmt sei­nen Lauf

Die ers­ten Mona­te war eine Zeit des Ken­nen­ler­nens. Die Füh­rungs­of­fi­zie­re – zunächst ein Ober­leut­nant, spä­ter ein Haupt­mann – tas­te­ten sich her­an, prüf­ten ihre Zuver­läs­sig­keit, schul­ten sie in den Regeln der kon­spi­ra­ti­ven Arbeit. Sie lern­ten ihre Schwä­chen ken­nen: ihre Nei­gung zur Krank­heit, ihre gele­gent­li­che Unzu­ver­läs­sig­keit bei Treff­ver­ein­ba­run­gen, ihre ideo­lo­gi­schen Unsi­cher­hei­ten.

Denn »Wald« war kei­ne über­zeug­te Kämp­fe­rin für die Sache. Die Akten ver­zeich­ne­ten Zwei­fel, Zögern, Aus­fäl­le.

Am 25. März 1975 erschien sie nicht zum ver­ein­bar­ten Tref­fen. Die Ver­bin­dung muß­te erst am 4. April wie­der­auf­ge­nom­men wer­den.

Am 31. März 1975 notier­te der Füh­rungs­of­fi­zier tro­cken:
„Der für den 25.03.1975 ver­ein­bar­te Treff wur­de von der KP nicht ein­ge­hal­ten. Die Ver­bin­dung wird bis zum 04. April 1975 wie­der auf­ge­nom­men.“
– BStU 000019

Sol­che Ver­säum­nis­se häuf­ten sich. Mal war sie krank, mal beruf­lich ver­hin­dert, mal ein­fach nicht erreich­bar. Die Offi­zie­re reagier­ten mit Nach­sicht – zu wert­voll war ihre Posi­ti­on am Thea­ter, zu nütz­lich ihre Kon­tak­te.

Doch sie for­der­ten auch Dis­zi­plin. Bei einem Tref­fen am 4. April 1975 hieß es unmiß­ver­ständ­lich:
„Die KP wur­de mit aller Dring­lich­keit auf die Ein­hal­tung der Treffs hin­ge­wie­sen, ins­be­son­de­re unter den Bedin­gun­gen, daß sie nicht tele­fo­nisch zu errei­chen ist.“
– BStU 000021

 »Wald« ent­schul­dig­te sich. Sie sei ohne gro­ße Vor­be­rei­tung nach Bra­tis­la­va gereist, erklär­te sie. Eine Thea­ter­rei­se, beruf­lich not­wen­dig. Außer­dem sei sie an Grip­pe erkrankt gewe­sen. Die Offi­zie­re notier­ten es – und gaben ihr neue Auf­trä­ge.

 

Die ers­ten Berich­te

Was soll­te »Wald« lie­fern?

Zunächst ging es um das Ensem­ble Apar­coa, eine Grup­pe chi­le­ni­scher Exil­mu­si­ker, die seit 1974 am Volks­thea­ter Ros­tock eine neue Hei­mat gefun­den hat­ten. Die chi­le­ni­schen Künst­ler gal­ten als poli­tisch zuver­läs­sig, Sie waren Anhän­ger der gestürz­ten Allen­de-Regie­rung uns sie waren Flücht­lin­ge vor Pino­chets Dik­ta­tur. Doch das Minis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit trau­te nie­man­dem. Jeder Aus­län­der war poten­ti­ell ver­däch­tig. Jeder Kon­takt in den Wes­ten eine mög­li­che Gefahr.

 »Wald« kann­te die Apar­co­as gut. Sie arbei­te­te mit ihnen zusam­men, orga­ni­sier­te ihre Pro­gram­me, beglei­te­te sie auf Rei­sen. Sie war prä­de­sti­niert für die Auf­ga­be.

Ihre ers­te aus­führ­li­che Ein­schät­zung über das Ensem­ble und des­sen Mit­glie­der fin­det sich auf den Sei­ten der Akte. Detail­liert, kennt­nis­reich, per­sön­lich. Sie beschrieb die Musi­ker nicht als Ver­däch­ti­ge, son­dern als Men­schen:
„Julio ist klein, aus­ge­gli­chen, von Wesen her eher hei­ter, ruhig, unauf­dring­lich, zuver­läs­sig, ohne aus­ge­tra­ge­ne Auto­ri­tät, mit Ruhe. Ver­mei­det geschickt, daß es inner­halb der For­ma­ti­on zu Hek­tik oder Riva­li­tä­ten kommt. Äußer­lich beschei­den, ist er der inne­re Motor der Grup­pe.“
– BStU 000003

Ihre Berich­te waren kei­ne Denun­zia­tio­nen im klas­si­schen Sin­ne. Sie waren Cha­rak­ter­stu­di­en, geprägt von Respekt und Sym­pa­thie. Doch genau das mach­te sie so wert­voll für die Sta­si: Sie waren glaub­wür­dig.

Über einen ande­ren Musi­ker der Grup­pe schrieb sie:
„Er hat einen kla­ren poli­ti­schen Stand­punkt, den er in vie­len Inter­views prä­zi­se und mit gro­ßer Dif­fe­ren­ziert­heit arti­ku­liert. Ich hal­te ihn für abso­lut zuver­läs­sig. Er ist in sei­ner Welt­an­schau­ung klar, ruhig und nicht ner­vös; beschei­den und doch sicher im Auf­tre­ten.“
– BStU 000003

Die Offi­zie­re lasen die­se Zei­len und erkann­ten: »Wald« hat­te Zugang. Sie ver­stand die Men­schen, über die sie berich­te­te. Sie konn­te dif­fe­ren­zie­ren. Und sie war bereit, ihr Wis­sen zu tei­len.

 

Der Preis der Mit­ar­beit

Was erhielt »Wald« im Gegen­zug? Die Akten schwei­gen über Geld­zah­lun­gen oder mate­ri­el­le Vor­tei­le.
(RoZe: Muß ich noch auf ande­ren Sei­ten prü­fen!)
Ver­mut­lich arbei­te­te sie ohne direk­te Bezah­lung, als „Gesell­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter für Sicher­heit“, eine Kate­go­rie von Infor­man­ten, die aus ideo­lo­gi­scher Über­zeu­gung oder mora­li­schem Pflicht­ge­fühl tätig wur­den. Oder hat­te »Wald« gar eine völ­lig ande­re Sicht- und Her­an­ge­hens­wei­se?

Doch die Zusam­men­ar­beit brach­te ande­re Vor­tei­le: Auf­merk­sam­keit. Bedeu­tung. Das Gefühl, gebraucht zu wer­den. Und viel­leicht auch Schutz – die Gewiß­heit, daß die Macht auf ihrer Sei­te stand, solan­ge sie koope­rier­te.

Die Tref­fen fan­den regel­mä­ßig statt, meist alle zwei bis drei Wochen. Der Ort wech­sel­te: mal die Gast­stät­te »Kaf­feestüb­chen«, mal die Fritz-Reu­ter-Apo­the­ke, mal ihre eige­ne Woh­nung. Die Gesprä­che dau­er­ten zwi­schen drei­ßig Minu­ten und andert­halb Stun­den. Manch­mal über­gab sie schrift­li­che Berich­te, manch­mal berich­te­te sie münd­lich.

Am 26. Mai 1975 notier­te der Füh­rungs­of­fi­zier:
„Die KP berich­te­te über ihre Anstren­gun­gen zur kul­tu­rel­len Umrah­mung der Ver­an­stal­tung zum 30. Jah­res­tag der Befrei­ung in der Sport­hal­le War­ne­mün­de. Neben der Ver­ant­wort­lich­keit für die Dra­ma­tur­gie, war sie durch eige­ne Neu­schöp­fun­gen beson­ders belas­tet.“
– BStU 000026

 »Wald« arbei­te­te also nicht nur als Infor­man­tin – sie erfüll­te ihre beruf­li­chen Auf­ga­ben am Thea­ter mit vol­lem Ein­satz. Das war ihre Tar­nung, aber auch ihre Iden­ti­tät. Sie war Dra­ma­tur­gin, Künst­le­rin, Intel­lek­tu­el­le. Die Mit­ar­beit für das Minis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit war nur ein Teil ihres Lebens – ein gehei­mer, ver­bor­ge­ner Teil, den nie­mand ken­nen durf­te.

Doch je län­ger die Zusam­men­ar­beit dau­er­te, des­to tie­fer ver­strick­te sie sich. Mit jedem Bericht, mit jedem Tref­fen wur­de der Weg zurück schwie­ri­ger. Sie hat­te eine Gren­ze über­schrit­ten. Und sie wür­de nicht mehr zurück­kom­men.

 

Zwei­fel und Loya­li­tät

Doch »Wald« war kei­ne lini­en­treue Funk­tio­nä­rin. Die Akten doku­men­tie­ren Momen­te des Zögerns, der Unsi­cher­heit, ja des Wider­spruchs.

Im Herbst 1976, nach der Aus­bür­ge­rung Wolf Bier­manns, geriet sie in eine ideo­lo­gi­sche Kri­se. Sie äußer­te Zwei­fel an der Ent­schei­dung der Regie­rung. Sie frag­te sich, ob das rich­ti­ge Maß gefun­den wor­den sei.

Bei einem Tref­fen am 19. Novem­ber 1976 gestand sie ihrem Füh­rungs­of­fi­zier:
„Wört­lich sag­te sie: ‚War­um soll nicht auch ich mei­ne ideo­lo­gi­schen Pro­ble­me haben.‘ Der GMS berich­te­te, daß sie auch dem Chef gegen­über (Prof. Per­ten) die­se Unklar­hei­ten geäu­ßert hät­te und er sie danach etwas ent­täuscht ansah.“
– BStU 000062

Es war ein gefähr­li­ches Bekennt­nis. Doch die Sta­si reagier­te nicht mit Här­te, son­dern mit „ideo­lo­gi­scher Arbeit“. Man belehr­te sie, erklär­te ihr die Not­wen­dig­keit der Maß­nah­men, sie ver­such­ten ihre Zwei­fel zu zer­streu­en. »Wald« soll­te nicht ver­lo­ren wer­den.

Am Ende blieb sie.
Aus Über­zeu­gung? Aus Angst? Aus Gewohn­heit? Die Akte gibt kei­ne ein­deu­ti­ge Ant­wort. Sie ver­zeich­net nur, daß die Zusam­men­ar­beit wei­ter­ging – Tref­fen um Tref­fen, Bericht um Bericht.

Bis zum Ende des Jah­res 1976 hat­te sich ein Rhyth­mus ein­ge­spielt. Die Tref­fen fan­den regel­mä­ßig statt, die Berich­te flos­sen, das Ver­trau­en wuchs – auf bei­den Sei­ten. Die Füh­rungs­of­fi­zie­re wuß­ten nun, was sie an »Wald« hat­ten: eine zuver­läs­si­ge Quel­le mit Zugang zu einem kul­tu­rell und poli­tisch sen­si­blen Bereich. Eine Frau, die berich­ten konn­te, ohne auf­zu­fal­len.

Doch die Jah­re soll­ten noch vie­le Wen­dun­gen brin­gen. Die chi­le­ni­schen Musi­ker, die west­li­chen Kon­tak­te, die ideo­lo­gi­schen Kämp­fe im Thea­ter­be­trieb – all das war erst der Anfang.

»Wald« hat­te sich auf einen Weg bege­ben, des­sen Ende sie nicht abse­hen konn­te.

Die Akte wuchs wei­ter. Sei­te um Sei­te. Tref­fen um Tref­fen. Bericht um Bericht.

Und mit jedem Ein­trag wur­de die Ver­stri­ckung dich­ter.



Fazit:
Zurück bleibt nur das Papier. Die Kar­tei­kar­ten. Die Treff­be­rich­te. Die Ein­schät­zun­gen. Und die Fra­ge: Wer war die­se Frau wirk­lich? Opfer oder Täte­rin? Über­zeug­te Sozia­lis­tin oder ängst­li­che Mit­läu­fe­rin?

Die Wahr­heit liegt irgend­wo zwi­schen den Zei­len.
Oder doch nicht?

 



Rosa von Zehn­le úr
Ùjud­var, 2025.10.03

https://175er-verlag.org/.recherchiert/archive/6434



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